Wärmenetzplanung 4.0 - FACHARTIKEL EUROHEAT&POWER / 7-8/2020

Wärmenetzplanung 4.0: Quartier ist nicht gleich (Neubau-) Quartier, Netz ist nicht gleich Netz
 
Klassische Nah- bzw. Fernwärme oder kalte Nahwärme? Vorisolierte Stahl- oder Kunststoffleitungen? Übergabestationen oder Nah-/Fernwärmepufferspeicher? Wie muss die Gleichzeitigkeit von Wärmebedarfen berücksichtigt werden? Was ist das
richtige Wärmeerzeugungskonzept? Mit all diesen und noch ganz anderen Fragestellungen hat sich jeder Planer auseinanderzusetzen, um eine maßgeschneiderte Quartierslösung zu entwickeln.

 

Um die gesteckten CO2-Einsparungsziele erreichen zu können, ist es unerlässlich, die Haushalte effizienter und „grüner“ zu versorgen. Wärmenetze können hierbei eine Schlüsselrolle einnehmen. Die leitungsgebundene Wärmeversorgung im Quartier (Bild 1) hat sich seit Jahrzehnten bewährt und wird weiter forciert, da bei der gesamtheitlichen Quartiersbetrachtung Skaleneffekte, Synergien und (Abwärme-) Potenziale im Vergleich zur Einzelgebäudebetrachtung genutzt werden können. Aber kein (Neubau-)Quartier gleicht dem anderen, alle haben ihre Besonderheiten. Folglich gibt es auch nicht „die eine Lösung“, wie ein Wärmenetz geplant und umgesetzt werden muss. Die Praxis zeigt klar, dass der Trend zu Systemen mit niedrigerem Temperaturniveau geht. Auf der einen Seite wirkt sich dies positiv auf die Reduzierung der Wärmeverluste sowie die Einbindung von Abwärmequellen und erneuerbaren Energien aus. Auch können dadurch kostengünstigere Lösungen wie Kunststoffleitungen zum Einsatz kommen, die die Wirtschaftlichkeit der Projekte verbessern. Auf der anderen Seite führt die Reduktion
der Systemtemperaturen oftmals zu kleineren Spreizungen im Netz; folglich müssen größere Querschnitte verlegt oder das Netz mit höheren Drücken gefahren werden. Dementsprechend ist es die Aufgabe des Planers, unter Berücksichtigung der Wärmebedarfe und deren Gleichzeitigkeit ein stimmiges Übergabe- und Verteilkonzept zu entwickeln und die Wärmeerzeugungsanlagen auszulegen. 

Rohrsysteme abhängig von Netzparametern

Bei der Wahl des geeigneten Rohrsystems für ein Quartier spielen neben den Energiebedarfen auch die Energiequelle und die daraus resultierenden Netztemperaturen eine ganz entscheidende Rolle. Werden hohe Temperaturen oder
Drücke benötigt, so führt kein Weg an Stahl vorbei. Ist dies hingegen nicht der Fall, so kommen immer öfter vorisolierte flexible Kunststoffleitungen zum Einsatz. Der Grund liegt auf der Hand: Mit diesen Rohrsystemen können Quartiere kostengünstiger erschlossen werden, sofern die Randbedingungen Druck und Temperatur es zulassen. Im Bereich der kalten Nahwärme werden häufig unisolierte Polyethylen-(PE-)Leitungen eingesetzt, da das Temperaturniveau zum Teil unter der Umgebungstemperatur des Erdreichs liegt und sogar Energiegewinne erzielt werden können. Diese Systeme müssen projektspezifisch betrachtet werden, weil das Zusammenspiel der Wärmequellentemperaturen und der Wärmepumpe sehr individuell ist. Deshalb zurück zur „klassischen“ Nah-/Fernwärme. Analog zu den KMR-Leitungen sind die PMR-Leitungen dreiteilig aufgebaut. Sie bestehen aus Mediumrohr(en), der Dämmung und einer Ummantelung, die in der Regel aus PE ist. Bei der Dämmung kommt wie auch bei den Stahlleitungen Polyurethan-(PUR-)
Schaum zum Einsatz. Rohre mit weichen PE-oder PE-X-Schaumdämmungen haben sich in der Nah-/Fernwärme wenig etabliert. Hinsichtlich der Mediumrohre haben
sich PE-Xa-Leitungen durchgesetzt. Aber auch hier macht der Fortschritt keinen Halt: Immer häufiger werden aramidverstärkte PE-Xa-Mediumrohre installiert (Bild 2). Diese haben gegenüber Standard-PE-Xa-Mediumrohren Vorteile bei der Temperatur- und Druckbeständigkeit. Der Einsatzhorizont von Kunststoffleitungen
im Nah-/Fernwärmemarkt wurde somit erweitert. Vor der Auswahl der für das Quartier „richtigen“ Leitung müssen projektspezifisch die geforderten Betriebsparameter genauestens überprüft werden. Erst dann kann entschieden werden, ob das Netz in Stahl gebaut werden soll oder welBild 2. Aufbau der aramidverstärkten PE-Xa-Leitung Fibre-Flex PN 10 che Kunststoffvariante die passende ist. Um das Zusammenspiel von Druck, Temperatur und Lebensdauer für Kunststoffrohrsysteme etwas genauer unter die Lupe nehmen zu können, hilft Tafel 1. Aus dieser geht eindeutig hervor, dass die Lebensdauer mit zunehmender Temperatur abnimmt und auch ein zunehmender Druck die Lebensdauer der Leitung verkürzt. Dieser Effekt ist bei allen drei vorgestellten Kunststoffrohrsystemen
festzustellen. Von daher stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, die Systemtemperaturen in den Netzen möglichst gering zu halten...
 
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Chancen und Tücken von kalter Nahwärme und LowEx- Netzen

Kalte Nahwärme und LowEx-Netze können auf einem niedrigeren Temperaturniveau betrieben werden als die klassische Nah-/Fernwärme. Deshalb werden diese Netze oftmals mit Effizienz und geringen Wärmeverlusten in Verbindung gebracht. Das ist sicherlich nicht falsch, aber auch nicht immer ganz richtig. Die Energiebedarfe der einzelnen Anschlussnehmer haben sich im Vergleich zu herkömmlichen Nah-/Fernwärmenetzen nicht geändert; folglich muss die benötigte Energie entweder über höhere Volumenströme oder dezentrales Nacherhitzen, z. B. über eine Wärmepumpe, bereitgestellt werden. Je höher die benötigten Temperaturen
auf der Kundenseite sind, desto weniger eignen sich diese Systeme für eine effiziente und ökonomische Wärmeversorgung. Bei Neubauquartieren hingegen kann diese Lösung ihre Stärken ausspielen. Grundvoraussetzung ist jedoch, dass eine Energiequelle auf einem nicht allzu hohen Temperaturniveau vorhanden ist, z. B. Abwärme oder oberflächennahe Geothermie.

 

LowEx-Netz im Vergleich zur klassischen Nah-/Fernwärmeversorgung

Im Folgenden werden exemplarisch die Auslegung und die anfallenden Kosten für ein Wärmenetz eines typischen Neubauquartiers betrachtet. Insgesamt befinden sich in diesem Areal 60 Anschlussnehmer (Neubau-Einfamilienhäuser); die gesamte Trassenlänge des Wärmenetzes beträgt knapp 2 000 m. Dabei werden folgende vier Varianten miteinander verglichen, um den Unterschied zwischen einer herkömmlichen
Nahwärmeversorgung und der LowEx-Variante herauszuarbeiten:
• Variante 1: herkömmliche Nahwärmeversorgung mit möglichst knapper Dimensionierung und gleitender Vorlauftemperatur (60 bis 80 °C),
• Variante 2: herkömmliche Nahwärmeversorgung mit konventioneller Dimensionierung und gleitender Vorlauftemperatur (60 bis 80 °C),
• Variante 3: LowEx-Variante mit möglichst knapper Dimensionierung (Vorlauftemperatur 60 °C),
• Variante 4: LowEx-Variante mit konventioneller Dimensionierung (Vorlauftemperatur 60 °C).
 
Für die Netze wurde sich aufgrund der moderaten Drücke und Vorlauftemperaturen für vorisolierte Kunststoffleitungen (PE-Xa) entschieden. Aus Tafel 1 kann der
passende Rohrtyp nach Temperatur und Druckbeständigkeit nach Pges ausgewählt werden. Tafel 2 zeigt anhand von Eingangsparametern und daraus resultierenden
Berechnungsergebnissen die Unterschiede in der Rohrleitungsdimensionierung
der verschiedenen Varianten auf. Um eine ökonomische Bewertung der einzelnen
Optionen vornehmen zu können, müssen neben den Investitionskosten auch die Bedingungen im Betrieb und die daraus entstehenden Betriebskosten betrachtet
werden. Als Betrachtungszeitraum wurden 20 Jahre zugrunde gelegt. Bei der Pumpenauslegung wurde bei allen Varianten der Einsatz zweier mehrstufiger, parallel laufender Pumpen im jeweils benötigten Leistungsbereich vorgesehen.
Daraus ergeben sich die in Tafel 3 dargestellten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die niedrigsten jährlichen Gesamtkosten werden folglich bei
Variante 1 erreicht. In diesem Fall stellt also die herkömmliche Nahwärmeversorgung mit relativ „knapper“ Dimensionierung der Rohrleitungen die ökonomisch vorteilhafteste Option dar. Die Mehrkosten der LowEx-Varianten – verursacht hauptsächlich durch die jeweils höhere Anfangsinvestition
– verhindern hier eine bessere Wirtschaftlichkeit. Hintergrund ist der hohe Volumenstrom, der aufgrund der niedrigen Temperaturen notwendig wird und sich unmittelbar auf Rohrleitungs- und Pumpendimensionierung auswirkt.
 
Auch wurde die Variante „kalte Nahwärme“ beleuchtet. Dort wäre zwar kein Wärmeverlust vorhanden, aber durch die geringe Spreizung bis 3 K wäre in diesem Beispiel ein Volumenstrom bis 105 m3/h nötig gewesen. Alleine die Pumpenstrommehrkosten würden sich gegenüber jeder Variante mindestens verdoppeln. Es zeigt sich also, dass geringere Systemtemperaturen nicht zwingend
mit einer höheren Gesamteffizienz oder einer besseren wirtschaftlichen Bilanz des Wärmenetzes einhergehen. Selbstverständlich kann die Variante LowEx oder kalte Nahwärme bei den richtigen Rahmenbedingungen (vorhandene Abwärmequelle, sehr niedriges benötigtes Temperaturniveau bei den Abnehmern usw.) ökonomische und betriebstechnische Vorteile mit sich bringen, allerdings kann dies – wie
hier aufgezeigt – nicht für jedes (Neubau)-Netz pauschalisiert werden. Es gilt also, bei der Betrachtung eines Quartiers stets alle relevanten Einflüsse zu berücksichtigen und so die für das jeweilige Vorhaben sinnvollste Lösung herauszuarbeiten.

Effizienz durch abgestimmtes Gesamtkonzept

Nicht nur die Leitungen, sondern auch die eingesetzte Übergabetechnik samt Steuerung hat einen entscheidenden Einfluss auf die Effizienz des Wärmenetzes. Jedes anzuschließende Gebäude im Quartier hat einen individuellen Energiebedarf, der sich aus Raumwärme und in den allermeisten Fällen auch aus Warmwasser zusammensetzt. Die neueren Gebäude werden energetisch immer besser
gedämmt, der Raumwärmebedarf ist im Vergleich zum Altbau niedriger und unterliegt bedingt durch die oftmals eingesetzten Flächenheizungen geringeren Leistungsschwankungen. Altbauten benötigen in der Regel mehr Energie für
die Raumwärme und die Leistungsspitzen variieren stärker. Gerade bei Projekten mit geringerer Wärmebedarfsdichte (ländlicher Raum, Neubaugebiete mit vielen
Einfamilienhäusern) kann es sinnvoll sein, anstelle von klassischen Übergabestationen dezentrale Pufferspeicher einzusetzen, um die Leistungsspitzen zu glätten. Im Neubau resultieren die schwankenden Leistungsspitzen in der Regel
aus den schwankenden Warmwasserbedarfen. Durch den Einsatz des
dezentralen Puffermanagements können nicht nur die Dimensionen im Netz reduziert werden, was geringere Investitionskosten und Wärmeverluste nach sich zieht, sondern es kann auch der Betrieb bzw. die Wärmeerzeugung optimiert
werden, da die Speicher gezielt beladen werden. Jedoch ist für das energetisch
und ökonomisch sinnvolle Pufferspeicherkonzept bei den Einfamilienhäusern
im Neubau nicht immer der notwendige Platz vorhanden, weshalb die Lösung nicht
überall zum Einsatz kommen konnte. Dieses Problem konnte inzwischen
jedoch gelöst werden. Im Zuge des Horizon-2020-EU-Förderprojekts
Tempo wurde genau für diesen Einsatzzweck ein Nah-/Fernwärmekompaktspeicher entwickelt. Für geringen Platzbedarf wurde ein 250-l-Speicher sowie alle notwendigen Komponenten (Motorstellventil, Regler, Wärmemengenzähler usw.), die für eine klassische Übergabestation benötigt werden, auf rd. 60 cm - 60 cm - 210 cm angeordnet.
 
Der Clou an diesem Kompaktspeicher (Bild 4): Alle für die Sekundärseite benötigten Komponenten wie Heizkreisgruppe, Ausdehnungsgefäß und Frischwasserstation sind integriert. Der Häuslebauer hat eine Plug-and-Play-Lösung, mit der er
seinen Raumwärme- und Warmwasserbedarf abdecken kann. Der Speicher ist eine technische Lösung, die sowohl bei klassischen Nahwärme- als auch in LowEx-
Netzen oder in Verbindung mit Wärmepumpen eingesetzt wird. Das ausgefeilte Übergabekonzept1) ermöglicht auch bei geringen Systemtemperaturen eine hohe Effizienz. 

Fazit

Eine quartiersbezogene Wärmeversorgung hat sowohl ökonomische als auch ökologische Vorteile im Vergleich zur einzelobjektbezogenen Wärmeversorgung. Es kann aber nicht pauschal gesagt werden, welche Art des Wärmnetzes sich immer am besten eignet. Einfluss auf die Auswahl der Wärmenetzart haben sowohl die Anforderungen an die Energiemenge und das Temperaturniveau der anzuschließenden Gebäude als auch die Wahl bzw. die Verfügbarkeit der Energiequellen im Quartier. Dementsprechend nimmt der Planer in der
energetischen Quartiersbetrachtung eine ganz entscheidende Rolle ein, denn er muss neben dem Ist-Zustand auch die Entwicklungen der nächsten Dekaden im Blick haben und dafür ein System auswählen und planen. Dabei hat die
leitungsgebundene Wärmeversorgung einen Vorteil gewiss: Während die Netzinfrastruktur auf Jahrzehnte ausgelegt wird, können die Wärmeerzeuger im Lebenszyklus des Netzes durchaus wechseln. Infolgedessen kann dann jeweils die
neuste und „grünste“ Energiequelle ins System integriert werden. Auf diese Art und Weise kann die Dekarbonisierung in Deutschland zukünftig mit Wärmenetzen weiter
voranschreiten. 

Bei diesem Projekt wurde diese(s) Produkt(e) verwendet:

Bei allgemeinen Fragen oder Fragen zu diesem Projekt
und den darin verwendeten Produkten dürfen Sie mich
jederzeit gerne kontaktieren. Ich freue mich auf Sie.
Markus Euring
Key Account Manager